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Grandios schräg
Gugge-Explosion in Lörrach

Text und Fotos: Karin Gessler

Lörrach guggt – fetzig, laut und mitreißend. Am Fastnachtssamstag ist die City fest in der Hand der Guggenmusiker und ihrer Fans. Auf drei Bühnen spielen Formationen aus dem Gugge-Mutterland Schweiz und aus dem süddeutschen Raum. Heimrecht haben natürlich die Lörracher Guggen, allen voran die Gugge ’53. Mit ihrer Gründung 1953 begann das Lörracher Guggenfieber.


Oktave-Chratzer (oben und rechts):
Die Masken für das Sandmann-Kostüm schuf der
Lörracher Larvenkünstler Gerd Paulicke.



„Da musch eifach mitwippe“, ruft eine Frau im bunten Clownskostüm begeistert und reckt ihre Arme im Takt der Musik nach oben. Auf der großen Bühne am Alten Markt bieten die Mühlengeischter aus Eigeltingen Percussion vom Feinsten. Dicht an dicht drängen sich die Zuhörer, keiner, der nicht wenigstens mit den Zehen den Rhythmus aufnimmt. Dazu lacht die Sonne von einem makellos blauen Himmel und lässt die Farben der Kostüme und Häser aufleuchten.

„Der liebe Gott isch ebe au e Guggemusiker!“


Kaum zu glauben, dass es eine Zeit gab, in der man sich ernsthaft Sorgen um den Lörracher Fasnetsamstag machen musste. Weil in der Innenstadt so gar nichts los war, engagierte der Schweizer Erich Fischer, Marktleiter bei Migros und selbst ehemaliger Guggenmusiker, Lörracher Guggen, die für Kunden und Passanten spielen sollten.

Als die Oktave-Chratzer aus Brombach ihren zwanzigsten Geburtstag vorbereiteten und der neue Gildenvorstand nach spritzigen Ideen für die Straßenfastnacht suchte, fügte sich eins zum anderen – und so wurde 2001 das erste Guggenspektakel aus der Taufe gehoben.

Die musikalische Leitung übernahm Claudio Burger, die Organisation war bei Obergildenmeister Jörg Rosskopf in besten Händen, Migros engagierte sich als Sponsor und sorgte für die Verpflegung. Der Erfolg war so überwältigend, dass die Migros-Gugge-Explosion schnell zum festen Bestandteil der Lörracher Fastnacht avancierte – und Lörrach zur Guggen-Hochburg.

Eifrig dabei:
der Lörracher Guggennachwuchs

Pünktlich um 11 Uhr ertönen die ersten Trommelwirbel, setzen die Musiker ihre Trompeten und Sousaphone an die Lippen. Bis weit in die Nacht hinein wird nun auf den großen Bühnen und in den Gassen non stop in Guggen Manier musiziert, gefetzt, gejazzt und gerockt. „Es ist schon etwas Besonderes, vor so vielen begeisterten Menschen zu spielen“, schwärmt einer der Musiker. Die Aktiven schätzen die Gugge-Explosion nicht nur wegen der guten Organisation und Verpflegung, sondern auch wegen des kompetenten Lörracher Publikums. Am Hochrhein ist die Liebe zur Guggenmusik fest verwurzelt. Mit der Gugge ’53 wurde 1953 in Lörrach die erste deutsche Gugge gegründet. Ihren Ursprung hat die schräge Musik jedoch in der Schweiz, genauer in Basel. Vermutlich wollten die Fastnachter die Blasmusikkapellen persiflieren, die um die Jahrhundertwende in der traditionellen Fastnacht auftauchten. Das Wort „Guggenmusik“ wird erstmals 1906 im „Verzeichnis der Fasnachtsumzüge“ erwähnt. Der große Boom setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein, mittlerweile gibt es diesseits und jenseits der Grenze kaum eine Ortschaft ohne Gugge.


Maske der Roli-Guggers aus
Laufenburg (Baden)

Eines der Erfolgsgeheimnisse der Lörracher Gugge-Explosion ist die sorgfältige Auswahl der Musikgruppen. „Wir wollen die ganze Vielfalt präsentieren“, erklärt Claudio Burger, „und auch das Niveau muss stimmen.“ Um die 30 Gruppen lädt er jedes Jahr ein – mehr wäre logistisch nicht verkraftbar. Die Szene verändert sich ständig, unverkennbar ist der Trend zu mehr musikalischer Raffinesse. Vor allem die großen Formationen intonieren blitzsauber im Brassbandstil, vier- und fünfstimmige Sätze werden dargeboten. Daneben bleibt aber genug Raum für die gute alte Guggenmusik, in der die Töne immer ein bisschen danebenliegen, frei nach dem fastnächtlichen Motto: je schräger, je schöner. Die meisten der Guggenmusiker sind übrigens reine Laien, die Erfahreneren bringen den Anfängern das Spielen bei, geprobt wird das ganze Jahr über. Ein Musiker der Oktave-Chratzer bringt es auf den Punkt: „Im Musikverein muss man sich an die Noten halten, kein Millimeter links, kein Millimeter rechts. In der Guggenmusik ist man freier, man kann auch mal anders spielen.“

linkes Bild: Maske der Roli-Guggers aus Laufenburg (Baden), rechtes Bild: Lörrach guggt: die große Bühne aus dem Alten Markt



Auf der Bühne am Alten Markt trompeten mittlerweile die Quaakdäsche aus Weil am Rhein hingebungsvoll „My Way“. „Auf ihre Weise“ fanden sie Mitte der 80er-Jahre den Weg in die Guggenmusik und gründeten die erste reine Wiibergugge am Hochrhein. „Mir wollte spiele, aber überall in dene Gugge häts domols für Fraue kei Möglichkeit gebe, do hen mir denkt, des könne mir au selber!“, erzählt Gabriele Eberhard später lachend auf dem Weg zum nächsten Auftritt. Die Musiker spielen in einem rotierenden System auf allen drei Bühnen. Aber weil das Spielen so viel Spaß macht, geben die meisten auch zwischendurch an der einen oder anderen Ecke ein spontanes Konzert. Dazu kommen die vielen Guggen, die nicht offiziell eingeladen wurden, aber das Klangbild der Stadt bereichern.

Der Gast aus dem Schwäbischen
hat sein Sousaphon mitgebracht.


Die Gugge-Explosion ist aber nicht nur ein Fest für die Ohren, sondern auch für die Augen, die Kreativität der Guggen in Bezug auf ihre Kostüme scheint grenzenlos. Da gibt es die leuchtend bunten, eher traditionellen Waggis und Harlekine, die vor allem im Basler Raum beliebt sind. Eher düster und mystisch lieben es die Guggen aus der Innerschweiz. Im Lörracher Raum machten in den letzten Jahren die Masken von Gerd Paulicke Furore. Für die Oktave-Chratzer schuf er, inspiriert von einer Erzählung E. T. A. Hofmanns, das Sujet des Sandmanns, und für die Schlösslisymphoniker aus Inzlingen entwarf er die schaurig-gruseligen Barock-Zombie-Masken. Wegen des großen Aufwandes behalten die meisten Guggen ihre Kostüme mehrere Jahre, einige wechseln aber auch jedes Jahr. Ein wichtiges Kriterium erfüllen alle Kostüme – sie sind warm – lebensnotwendig an kalten Fasnets-Winter-Tagen.

Mit Einbruch der Dunkelheit wechselt die Stimmung. Galt es am Nachmittag, von Bühne zu Bühne zu flanieren, sich durch die bunte Menschenmenge treiben zu lassen und den Klängen der Guggen zu folgen, sammeln sich die Fans nun entlang der Umzugsstrecke. Fackeln werden entzündet und tauchen die Straßen in romantisches Licht. Um 18 Uhr startet am Senser Platz der große Guggen-Corso, im Halbminutentakt ziehen nun die Cliquen trommelnd und schmetternd vorbei. Ziel ist der Alte Markt, wo sie noch bis gegen Mitternacht spielen werden. Für alle, denen es draußen allmählich zu kalt wird, öffnet der Burghof seine Pforten und lädt zur großen Guggen-Party.


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