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Vom Weberigel bis Barack Obama
Porträtlarven an der Fastnacht

von Jürgen Stoll

Larven mit Porträts von teils noch lebenden, überwiegend aber bereits verstorbenen Vorbildern zählen zu den wohl seltenen Gesichtsverlarvungen in der Fastnacht. Etwas verbreiteter sind Charaktermasken, welche naturidentisch den unzähligen Spielarten menschlicher Gesichtszüge entsprechen, aber dennoch kein Vorbild im wahrsten Sinne des Wortes haben. Ziel eines Porträts ist es immer auch, das Wesen bzw. die Persönlichkeit der porträtierten Person zum Ausdruck zu bringen. Hier zeigt sich wohl der deutlichste Unterschied zwischen einer echten Porträtlarve und einer Charaktermaske. So entfällt doch bei Letztgenannter die Kenntnis des tatsächlichen Wesens der dargestellten Person. Die Karikatur, was eigentlich so viel wie überladen, übertreiben bedeutet, ist eines der wesentlichen Stilmittel des ausführenden Künstlers. Die Überzeichnung z. B. körperlicher Merkmale erleichtert dem Betrachter das Identifizieren der porträtierten Person. Denkt man an den englischen Thronfolger Prinz Charles oder den Bundesaußenminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, so dürften wohl die Ohren zu den meist übertriebenen Gesichtsmerkmalen gehören. Beide finden sich in der Ahnengalerie der fastnächtlichen Verlarvungen.


Dieser Da-Bach-na-Fahrer in Schramberg trägt die Gesichtszüge des Zahnarztes Erwin Grüner.


Während bei der politischen Karikatur die Satire im Vordergrund steht, bietet sich natürlich in der Fastnacht der Humor als Triebfeder der Entstehung von Porträtmasken an. Ortsgrößen und stadtbekannte Originale durften u. a. im Brauchgebiet der schwäbisch-alemannischen Fastnacht Modell stehen. Villingens hochstehende Maskenschnitzkunst war natürlich auch Nährboden dieser Spezies der närrischen Mummerei. Mutmaßlich der letzte Turmwächter der Stadt bereichert als „Weberigel“ den reichen Fundus Villinger Porträtlarven. Nicht immer ungeteilten Beifall fanden derartige Kunstwerke bei den dargestellten Personen. Franz Fischer schildert in seinen Schriften die Geschichte der in den 1870er-Jahren entstandenen, zum Typus der Surhebelmasken gehörenden Larve des „Stachelfranz“. Der mutmaßlich dargestellte Villinger Bürger erwirkte gerichtlich eine Umänderung der Larve. „Die Folge war, daß der Bildhauer die Larve behördlicherseits umändern musste, was dieser durch ,Wegrasierung‘ des Bartes, den der Surhebel trug, vollführte“ (Albert Fischer, 1914).

Neben Villingen besitzt auch Rottweil in den Reihen seiner Schantle dem Volksmund nach eine Porträtlarve. Ein Hieronymus (Ronnys) soll der Erstbesitzer der gleichnamigen Larve gewesen sein. Eine Wunde an der Schläfe soll auf eine Schlägerei im Gasthaus Zum Kreuz zurückzuführen sein. Weitere Larven, insbesondere des sogenannten Herrenkramer’schen Fundus, lassen auf ehemals lebende Vorbilder schließen.

Wohl einer der ersten Protagonisten des über die Grenzen hinaus bekannten Schramberger Da-Bach-na-Fahrens war 1939 der Zahnarzt Erwin Grüner. Seine Gesichtszüge zieren bis heute die Maske des mit einem Holzzuber gegürteten närrischen Wassersportlers.

Grenzen überschritten

Tarrenz im Bezirk Imst in Tirol beheimatet gleich eine ganze Narrengruppe von Porträtlarven. Die als „Originale“ bezeichnete Gruppe bereichert bereits seit vielen Jahren das örtliche Fastnachtstreiben, hat aber mit der traditionellen Tarrenzer Fastnacht nichts zu tun. Ortsbekannte, eben Originale, fanden als Holzmaske Einzug in diese Gruppe. Grenzen der Akzeptanz wurden wohl 1997 überschritten, als der Tarrenzer Holzschnitzer Reinhold Neururer den Tiroler Landeshauptmann Weingartner als Holzmaske verewigte. Neben örtlich geführter kontroverser Diskussionen war wohl auch das Zusammentreffen mit dem echten Original von Spannungen und Unbehagen geprägt. Die Larve selbst befindet sich zwischenzeitlich im Besitz seines Doubles.


Werbeblatt aus Einzingers Narrenfibel mit der Ludwig-Erhard-Maske
Politiker, Personen des öffentlichen Lebens, aber auch insbesondere populäre Schauspieler gehörten zum jahrzehntelangen Angebot der in alle Welt exportierenden Thüringer Papiermaskenmanu-fakturen. Manebach, Ohrdruf sowie Sonneberg in Thüringen wetteiferten um die Käufergunst mit immer neuen Masken-kreationen lebender Personen. Nicht hoch genug darf die künstlerische Leistung der Modelleure bewertet werden, die die Tonvorlagen zur Produktion Tausender Papplarven durch Heim-arbeiter im strukturell armen Thüringer Wald lieferten. Stan Laurel und Oliver Hardy alias Dick und Doof feierten reißenden Absatz, während Charlie Chaplin wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Führer Ende der 1930er-Jahre aus dem Angebot gestrichen werden musste. Ähnlich erging es Haile Selassie, dem letzten Kaiser Äthiopiens, der ebenfalls auf Druck der Politik sein närrisches Pappmascheeleben verlor. Walt Disney entzog seine Lizenz für den Comicstar Mickey Mouse, weil er keine Geschäfte mehr mit Nazideutschland tätigen wollte. Der Maske Mahatma Gandhis blieb dieses Schicksal erspart, fehlende Absatzzahlen lassen aber leider nicht auf ihre Popularität schließen. Populär und umsatzstark waren Leinwandgrößen wie etwa Lilian Harvey, Willi Birgel oder Hans Albers. Das Kriegsende 1945 bedeutete das Ende der langen Ära von Porträtlarven aus thüringischer Maskenproduktion.


Von links nach rechts: Der „Werberigel” aus Villingen, Original-Pappmacheelarve von Einzinger, Ronnys' Schantle aus Rottweil


Walter Preussler, gelernter Graveur und Modelleur und gebürtig aus dem Sudetenland, erkannte Ende der 1940er-Jahre die Karnevalsmasken als Marktlücke. In Hünfeld in Hessen setzte er seit den 1950er-Jahren die Tradition der Thüringer Larvenmacher mit Papier- und Gazelarven fort, die in der sowjetisch besetzten Zone als Vertreter der wirtschaftlich unpopulären Leichtindustrie einen schweren Stand hatten. In den folgenden Jahren entwickelte Preussler Techniken zur Produktion von Masken aus Kautschuk, später Gummi, Plastik und Vinyl. In den 1980er-Jahren eroberte er mit Halloweenmasken den amerikanischen Markt.


Politiker als Ziel des närrischen Spotts

Insbesondere seine absolut lebensechten Politikermasken, etwa des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt oder des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher, brachten dem Maskenbauer ab 1975 mehrmals Einladungen zu den Kanzlerfesten nach Bonn ein. Ein Jahr später wurden bereits sämtliche Preussler’schen Maskenkreationen im Garten des Bundeskanzleramtes ausgestellt. Ein Gruppenbild der beiden Herren Schmidt mit Gattinnen gehört wohl zu den Schmuckstücken der Firmenhistorie. Über den guten Geschmack hinaus dürfte seine Maske Saddam Husseins gegangen sein, was die Ausstellungsmacher der Nürnberger Spielwarenmesse veranlasste, diese 1990 aus ihren Regalen zu entfernen. Der Golfkrieg 1990/91, die Absage der Fastnacht, aber auch der steigende Konkurrenzdruck aus Fernost bedeutete das Ende der hessischen Maskenproduktion. Preussler, wie viele andere dieser Branche, blieb auf einer kompletten Jahresproduktion sitzen.

Im Katalog eines der aktuell führenden Maskenhersteller lassen sich derzeit über 40 Promi- und Politikermasken finden. So unter anderem natürlich der US-Präsident Barack Obama oder auch die ehemalige britische Premierministerin Margret Thatcher. Interessant ist die zum Teil anonymisierte Produktbeschreibung. So wird die unschwer als Jürgen Klinsmann zu entlarvende Maske lediglich als „Trainer“ betitelt sowie die britische Komikerfigur Mr. Bean als Mr. Biene. Die Gründe dürften wohl in der fehlenden, weil teuren Autorisierung zum namentlichen Vertrieb liegen. Grenzen der Geschmacklosigkeit dürften bei der Maske Adolf Hitlers erreicht sein. Die Schaumlatexlarve zum Preis von 49,90 Euro wird im Internet explizit für Halloweenkostümfeste, aber auch zu Gegendemonstrationen bei Neonaziaufmärschen angeboten. Im selben Medium besteht die Möglichkeit, Papierlarven auszudrucken und auszuschneiden, etwa von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gesundheitlich ist diese Variante der Vermummung sicherlich unbedenklicher als die fernöstliche Latexkonkurrenz, vor welcher die Verbraucherschützer regelmäßig wegen zu hoher Schadstoffinhalte warnen.

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