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Wandelnde Ölgemälde
Eine gute Adresse für Häsmalerei: Erhard Fleig in Villingen

von Peter Haller

„Häsmoler“ Erhard Fleig bei der Feinarbeit. Fotos: Peter Haller
Wenn eine Ansichtskarte aus China, einzig und allein „An den Häsmoler von Villingen“ in Deutschland adressiert, seinen Empfänger problemlos erreicht, so sagt das etwas über Bekanntheitsgrad und Wertschätzung des Malermeisters Erhard Fleig in seiner Heimatstadt Villingen aus. Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass er in Villingen die erste Adresse in Sachen Häsmalerei ist. Fleig bemalt seit über 35 Jahren Villinger Narrohäser, und seit er Rentner ist, kann sich der 65-Jährige diesem Hobby voll und ganz widmen.

Der Grundstoff jedes Villinger Narrohäses ist reines Leinen. Gefordert ist eine besonders feste Qualität, die heutzutage nicht leicht zu bekommen ist und in größeren Mengen abgenommen werden muss. Beim derzeitigen deutschen Lieferanten der Narrozunft Villingen, bei dem die Leinenstoffe aufgrund der besonderen Webart noch auf alten Webstühlen gefertigt werden müssen, beträgt die Mindestabnahmemenge fünf Ballen, wobei ein Ballen aus ca. 20 Metern Stoff besteht. Für ein großes Narrohäs benötigt man etwa 4,5 Meter Stoff (Preis: ca. 220 Euro). Damit der Stoff nicht ausfranst, wird er vom Hersteller imprägniert, und um Fusseln zu vermeiden, die zu unschönen, kaum zu korrigierenden Farbflecken außerhalb der aufgemalten Motive führen könnten, abgeflammt.



Kohlenstaub und helles Leinen
Erhard Fleig bekommt das Häs fertig genäht von einer Näherin. Im ersten Arbeitsschritt legt er eine seiner in Pergamentpapier gestanzten Motivvorlagen (Schablonen), von denen er vier verschiedene Größen hat, auf den Leinenstoff – auf ein Hosenbein, einen Ärmel usw. Mit einem porösen Leinentuch, in dem sich von ihm eigens in einer Kaffeemühle gemahlener Holzkohlenstaub befindet, reibt der Häsmaler über die Vorlage auf dem Leinen und paust das Motiv auf. Nach Abnahme des Pergamentpapiers sind die gepunkteten Umrisse des Motivs, eines Hasen, eines Löwen usw., auf dem Häs zu sehen. Diese Umrisse werden mit Lackfarbe ausgemalt. Für die Feinarbeit, wie den Auftrag feiner Linien, verwendet er einen so genannten Malstock als Auflage für die malende Hand. So lässt sich der Pinsel genauer führen und die bereits aufgetragenen Farben werden geschont.


Narro in gedämpften Farben
Erhard Fleig mischt seine Farben aus Ölfarben und Leinöllack selbst zusammen – wobei das Mischungsverhältnis stimmen muss. Anders als bei vielen Zünften dürfen in Villingen nur die alten, schon früher gebräuchlichen Lackfarben benutzt werden. Diese nutzen sich zwar leichter ab als moderne Textilfarben; doch sie verleihen dem Stoff und somit dem aufgetragenen Motiv eine größere Steifigkeit, auch nachdem der Leinenstoff beim Waschen seine Imprägnierung verloren hat.
Auch die Farbgebung ist in Villingen vorgegeben. Die Farbpalette orientiert sich an noch erhaltenen jahrhundertealten Häsern. Erhard Fleig hat alle acht verwendbaren Farbtöne plus schwarz und braun auf einem Musterstreifen zusammengestellt, der sowohl ihm als auch anderen Villinger Häsmalern als Referenz dient. Knallige Farben auf dem historischen Villinger Häs? Unmöglich. Das würdevolle Erscheinungsbild des Narro, den der Volkskundler Werner Mezger als „Highlight und stolzesten Vertreter seiner Art“ bezeichnet hat, bestimmen gedämpfte Farben.
Erhard Fleig malt an einem Häs 60 bis 70 Stunden. Die Kosten dafür belaufen sich auf ca. 850 Euro. In einem Jahr verlassen etwa fünf Häser seine Werkstatt. Wenn man ihm bei der Arbeit zuschaut, so merkt man, mit welcher Routine und Erfahrung er zu Werke geht. Doch Fleig erzählt offen: Bis er das nötige Wissen gehabt habe und bis die entsprechenden Techniken saßen, habe er auch Lehrgeld zahlen müssen.


Närrische Welt auf Stoff
Die Motive für die Bemalung auf dem Villinger Narrohäs sind streng vorgegeben und orientieren sich ganz an standardisierten überlieferten Vorlagen. Auf dem Kittel, auch „Schobe“ genannt, ist vorne rechts (aus Sicht des Trägers) ein Hase abgebildet, links ein Fuchs. Auf der Kittelrückseite prangt ein Hansel mit leerer Dose, der einer Katze den Schwanz hochhält, so als wolle er ihr, einem Goldesel gleich, einige Dukaten abringen. Auf der Hose vorne links ist ein Bär abgebildet, rechts ein Löwe, darüber, so Fleig, eine Gruppe aus drei stilisierten, ineinander übergehenden Äpfeln, die die drei Lebensabschnitte Jugend, mittleres Alter und Greis symbolisieren sollen. Auch auf der Rückseite der Hosenbeine findet man diese Apfelgruppe, darunter rechts Hansel mit Wurst und Keule oder Narrenkolben und links Gretel, die eine Hechel in der Hand hält, ein Gerät mit scharfen Drahtspitzen zum Durchziehen und Reinigen von Flachs und Hanf. Beide tragen keine Villinger, sondern eher alpenländisch-tirolerisch anmutende Trachten, was wohl auf die vorderösterreichische Vergangenheit Villingens (1326–1805) zurückzuführen ist. Auf der Kappe, die an der Scheme, also Maske, befestigt wird, sind schließlich die Porträts einer Frau und eines Mannes aufgemalt, die wiederum Hansel und Gretel darstellen sollen. Auf den Ärmeln sind vorne Blumen und hinten Würste abgebildet. Erstere dienen an anderen Stellen des Häses neben Ranken, so genannten Arabesken, auch als Raumausfüller.


Sinn oder Unsinn
Lange Zeit wurden die verschiedenen Villinger Häsmotive ausschließlich im Sinne der germanisch-mythologischen Winteraustreibungs- und Fruchtbarkeitstheorie interpretiert. Dieses Verständnis wird von Vertretern des christlichen Deutungsansatzes der Fasnacht schon seit geraumer Zeit in Zweifel gezogen. Die Geister scheiden sich beispielsweise darüber, ob der Bär nun als ein Symbol des Winters oder als heraldisches Motiv anzusehen ist oder etwas ganz anderes darstellen soll, wie zum Beispiel die Unkeuschheit.
Der Hansel auf der Kittelrückseite wird unter anderem als Symbol des Aschermittwoch gedeutet, der einen „Kater“ und kein Geld mehr hat.
Die Hechel der Gretel weist wohl auf das während der Fasnet in Villingen ausgeübte „Strählen“ hin, bei dem der Narr im übertragenen Sinn sein Gegenüber durch das kammartige Nagelbrett zieht, wie einst die Bäuerin die Flachsbüschel. Beim Strählen spricht der Narr den unvermummten Mitbürger, den Gestrählten, auf der Straße oder im Gasthaus an, um ihm hinter der Scheme ohne Rücksicht auf die soziale Stellung des Angesprochenen unverhohlen die Meinung zu sagen, ihn zu rügen, ihn mit der Kenntnis der einen oder anderen Begebenheit zu überraschen oder um einfach Unsinn zu reden.
Verschiedene Deutungen gibt es zur Wurst, die mal als Feiertagssymbol, mal als Symbol der Fleischeslust im doppelten Sinne verstanden wird.

Ganz unstrittig ist hingegen, dass ein so kostbares Häs eine pflegliche Behandlung und Reinigung verlangt. Um ein Malheur zu vermeiden, sollte es nur von Hand mit Kernseife in der Badewanne gewaschen und gebürstet werden. Moderne Waschmittel würden die Farbpigmente ausbleichen.

Der Besuch in der Werkstatt von Erhard Fleig war ein ganz besonderes Erlebnis. Denn wie es der Zufall so will: zur richtigen Zeit am richtigen Ort kann man bei einem Glas Wein in geselliger Runde viel über die Fasnet und die Liebe der Menschen zu ihrer Fasnet erfahren, über das, was die Herzen der Menschen dabei bewegt, aber auch ihre Gemüter erregt – mehr, als man als Außenstehender jemals erfahren würde, selbst wenn man Jahr für Jahr an der Fasnet als Zuschauer am Straßenrand stünde.


Farbe für die Maske
Neben dem Häsmalen hat sich Erhard Fleig dem Schemenfassen verschrieben. Das heißt, er bemalt auch Villinger Schemen mit Ölfarbe bzw. bessert Schemen aus, bei denen die Fassung beschädigt ist, und versieht sie mit einer Schutzschicht aus wasserverdünntem Lack. Dieser hat gegenüber dem früher verwendeten Celluloselack den Vorteil, dass er nicht so lange riecht. Der Beitrag des Fassmalers ist nicht unbedeutend. Erst Schnitzkunst und Fassung zusammen ergeben ein Gesamtkunstwerk, verleihen der Scheme Ausdruck und hauchen ihr Leben ein – oder eben nicht.
Für jedes Jahr legt Fleig ein neues Fassmalerzeichen fest, das beidseitig an der Scheme in Augenhöhe angebracht wird. Fester Bestandteil jedes Zeichens ist ein Halbmond, der durch ein oder mehrere weitere Zeichen nach Belieben des Fassmalers ergänzt wird. Woher das Halbmond-Zeichen, wie es auch von anderen Fassmalern benutzt wird, rührt, ist nicht bekannt. Nach dem Fassen geht Fleigs Frau Birgit ans Werk und bringt an der Scheme den zugehörigen Rosshaarkranz an.

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