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Wenn Narren sich beim Treffen übertreffen
Narrentreffen ohne Ende – die Kehrseite der Medaille

von Peter Haller und Wulf Wager

In den Jahren des Ersten Weltkrieges fand selbstverständlich keine Fasnet statt. Als aber auch in den darauf folgenden Jahren keine maskierte Fastnacht in den überlieferten und zeitgenössischen Formen erlaubt wurde, schlossen sich 1924 auf Initiative der Villinger Narrozunft schwäbische und badische Narrenzünfte zum „Gauverband badischer und württembergischer alt-historischer Narrenzünfte“, der späteren „Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte“, zusammen. Ziel des Interessenverbands war es, die Mitgliedszünfte in ihrem Streben nach Erhalt und Weiterausübung ihrer Bräuche zu unterstützen. Gründer waren die Zünfte der Städte Bräunlingen, Donaueschingen, Elzach, Haslach, Hüfingen, Klein-Laufenburg, Oberndorf, Offenburg-Althistorische, Rottweil, Schramberg, Stockach, Villingen und Waldshut.
Die Idee zur Durchführung so genannter „Narrentreffen“ kam aber von dem „ganz und gar vom Mythologismus der germanischen Altertumskunde durchdrungenen“ alemannischen Regionalhistoriker und Blut-und-Boden-Schriftsteller Hermann Eris Busse. Das erste Narrentreffen wurde vom Landesverein „Badischer Heimatbund“, dessen Geschäftsführer Busse war, am 28. Januar 1928 in Freiburg veranstaltet. „Mit dieser auf ein Wochenende vor der eigentlichen Fastnacht anberaumten Zusammenkunft vieler Zünfte an einem zentralen Ort zu einer großen närrischen Heerschau war eine Darbietungsform ins Leben gerufen worden, wie sie der rheinische Karneval bis heute nicht kennt, die aber für die südwestdeutschen Narren inzwischen charakteristisch ist und die sich vor allem in den letzten Jahrzehnten durch die Gründung zahlreicher weiterer närrischer Regionalverbände und Freundschaftsringe geradezu inflationär ausgedehnt hat.“ 1)


Die Flutwelle beginnt
1929 wurde das erste Narrentreffen der Vereinigung in Villingen ausgerichtet. Es folgten weitere Narrentreffen in Rottweil 1930, in Stockach 1933, in Offenburg 1935, in Oberndorf 1936 und – letztmals vor dem Zweiten Weltkrieg – in Überlingen im Jahr 1938.
In den Jahren 1947/48 gab es wieder erste Umtriebe der Narren, nicht zuletzt, um auch der französischen Besatzungsmacht die Harmlosigkeit des Volkes zu demonstrieren.
1950 richtete die „Narrizella Ratoldi 1841 e.V.“ das erste Narrentreffen der Vereinigung nach dem Krieg in Radolfzell aus. Seit den 1970er Jahren boomt die Fastnacht und die Zahl der Narrentreffen stieg enorm an. Kaum ist der Dreikönigstag vorüber, schon finden im gesamten südwestdeutschen Raum Jubiläums-, Landschafts- und Große Narrentreffen statt. Meist mehrere an einem Wochenende.


Lieber fort als im Ort
Gemeinsames Feiern verbindet, überwindet Grenzen und Vorurteile, schafft neue Freundschaften, die gerade unter Narren oft ein Leben lang halten. Über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen öffnet aber auch den Blick für Anderes, Ungewohntes, Unbekanntes, manchmal eine andere Welt, und bietet die Möglichkeit, dies als etwas genauso Schönes oder Bereicherndes zu erfahren wie die eigene Fasnet, während Eigenbrötelei leicht zur Selbstüberhöhung führt.
Man mag zu Narrentreffen stehen wie man will, eines steht fest: Sie haben ihre Funktion in der Fasnet des beginnenden 21. Jahrhunderts, ja, sie sind ein nicht zu übersehender und unterschätzender Bestandteil davon. Ohne Narrentreffen gäbe es viele vor allem jüngere Narrenzünfte gar nicht, denn Narrentreffen sind geradezu das Lebenselixier für diese Zünfte, weil eben gerade die Aussicht auf solche Auswärtsauftritte zahlreiche neue Mitglieder in die jüngeren Zünfte lockt. Auch bei den älteren und alten Zünften wollten wohl die wenigsten Hästräger ganz auf Narrentreffen verzichten, auch wenn in diesen Kreisen immer wieder hervorgehoben wird, der Schwerpunkt müsse auf der heimischen Fasnet liegen, eine grundsätzlich richtige und wichtige Gewichtung. Wie viel leichter ist es doch, sich auswärts an einem durchorganisierten Umzug zu beteiligen als im eigenen Flecken eine Städtlefasnet auf die Beine zu stellen.


Treffsucht
Doch wie fast alles im Leben hat auch die Narrentrefferei ihre Kehrseite. Denn der Mensch neigt offenbar zu Maßlosigkeit und so erst recht der Narr, dafür ist er ja schon seit dem Mittelalter bekannt, für seine Fress- und Sauflust, seine Triebhaftigkeit und – eine im Vergleich dazu noch recht junge Untugend – seine Treffsucht. Mehr Narrenzünfte führen zu immer mehr Narrentreffen. Eine Vielzahl von gegenseitigen Verpflichtungen und Zusagen treibt die Narren von einem Treffen zum nächsten. Die Teilnahme an bis zu 15 Narrentreffen in einer „Saison“ ist keine Seltenheit mehr. Und wenn dann die eigentliche Fasnet kommt, hängen die Narren in den Seilen ... Wenn Narren sich beim Treffen übertreffen, dann bleibt der Sinn solcher Zusammenkünfte zunehmend auf der Strecke, denn wer mit einer Busladung Narren eine halbe Stunde vor Umzugsbeginn am Veranstaltungsort ausgespuckt und eine halbe Stunde nach Umzugsende wieder abgeholt wird, dem bleibt wohl kaum Zeit, den besuchten Ort, seine Fasnet und Menschen kennen zu lernen, zumal er vielleicht geistig schon beim nächsten Treffen im nächsten Ort ist. Wer andere Menschen kennen lernen, Freunde gewinnen, deren Fasnet bereichern möchte, der braucht Zeit, der muss an einem Ort verweilen können. Doch das Diktat des Narrenfahrplans hat vielerorts schon längst die Oberhand gewonnen.


Zuschauer treffen Narren – im Fernsehen
Wenn aber aus der Freude am Gemeinschaftserlebnis eine alljährlich sich wiederholende närrische Routine wird, Narrentreffen hier, Narrentreffen dort, Wochenende für Wochenende, wie dies immer öfter festzustellen ist, dann werden zunächst die Zuschauer wegbleiben (Zitat: „’s isch halt emmer ’s Gleiche“ oder „Dia scho wieder, dia hemmer doch letzschde Woch erscht g’säh“) und die müde durch die Gassen ziehenden, gestressten Hästräger werden kaum mehr jemanden hinter dem Ofen hervorlocken, zumal die Umzüge der Narrentreffen großspurig medial aufbereitet im Fernsehen dargeboten werden. Warum sollte also ein fasnetsbegeisterter Mensch in der Kälte stehen, wenn er die vereinigte Prächtigkeit der Narretei, noch dazu wissenschaftlich fundiert kommentiert, bei Kaffee und Kuchen in seiner Wohnstube erleben kann?
Als Folge werden die Zuschauer und dann auch die Hästräger ihre Lust an Narrentreffen verlieren und deren Zahl wird sich von allein reduzieren. Doch ohne Narrentreffen und gewachsenes heimisches Brauchtum wird die Fasnet an vielen Orten ihre Attraktivität einbüßen und die Narren werden unter sich bleiben.
Wohlgemerkt, Narrentreffen und heimische Fasnet unterliegen keineswegs denselben Spielregeln: Während vor allem die Einheimischen zumindest in den alten Narrenorten die Kontinuität sich alljährlich wiederholender Brauchabläufe wie Wecken, Narrenbaumsetzen, Hemdglonkerumzug, Narrensprung usw. als eine Art Ritual nicht missen möchten und als festen Bestandteil im Jahreslauf auffassen, also als ein Fest, auf das man sich von Jahr zu Jahr freut, dürfte das flächendeckende Überangebot an Narrentreffen über kurz oder lang zu Verschleiß- und Übersättigungserscheinungen mit den oben beschriebenen gravierenden Konsequenzen führen. Spätestens dann, wenn das Fernsehen eine neue Spielwiese entdeckt.


Achttausend, zehntausend und noch mehr Hästräger
Während bereits erste Narrentreffen mangels Teilnehmern abgesagt werden mussten, da der Terminkalender der Zünfte immer voller wird, arten andernorts die Umzüge zu geradezu monströsen Aufmärschen aus. Dem Zuschauer wird’s allein bei der Vorstellung schwindlig. Vier oder fünf Stunden Narrenschau am Stück, und das vielleicht bei Minustemperaturen, locken selbst den abgehärtetsten Zuschauer irgendwann ins nächste Café oder Gasthaus und die letzten Narren müssen sich mit wenigen ausharrenden Zuschauern begnügen oder gehen in den heimwärts strömenden Besuchermassen unter ...
Mit hängender Zunge kommt der von Narrentreffen gebeutelte Narr in den Fasnetstagen an – doch von wegen gemütliche Dorf- oder Städtlefasnet, nein, wenn die Bändel über der Straße hängen und der Narrenbaum aufgestellt ist, gehen die Auswärtsauftritte auch über die hohen Tage weiter, ja, so manche Zunft treibt es gar noch zum Kehraus in die Schweiz oder anderswo hin, an der „alten Fasnet“, deren Name hiermit eine ganz neue Bedeutung bekommt, weil inzwischen so mancher Narr wirklich alt aussieht und ihm ins Gesicht geschrieben steht: Endlich, endlich ist’s vorbei mit der Narrentrefferei!
Die oben beschriebene Entwicklung zeitigt also allmählich erste Konsequenzen: Narrentreffen müssen abgesagt werden, Zünfte begnügen sich mit kleineren, überschaubaren Treffen – vielleicht der Beginn einer Rückbesinnung auf den ursprünglichen Sinn von Narrentreffen, auf Selbstbeschränkung, auf Klasse statt Masse ... Auch die Zuschauer werden es zu schätzen wissen, wenn es gelingt, das richtige Maß zu finden. Ist also ein Ende des Fasnets-Booms bereits in Sicht?

1) Werner Mezger: Vom organischen zum organisierten Brauch, in: Zur Geschichte der organisierten Fastnacht. Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, Vöhrenbach 1999.

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